Wie familienfreundlich ist die ETH?

?Alles beginnt und endet mit der Familie?, sagte ETH-Pr?sident Lino Guzzella am Schulleitungsap¨¦ro 2017. Aber passen Spitzenforschung und ein erf¨¹lltes Familienleben wirklich zusammen? Und ist eine ETH-Karriere als Elternteil ¨¹berhaupt m?glich?

Vergr?sserte Ansicht: Mina life-Magazin April 2018
Mina bei ihrem ersten Besuch in der flexiblen Krippe ?Flex Zentrum? (Alle Bilder: Gian Marco Castelberg / ETH Z¨¹rich)

?Das ist Essen!?, sagt Mina und versucht die Plastikflasche, die mit rohen H?rnli gef¨¹llt ist, vergeblich zu ?ffnen. Auch von der Aussage des Betreuers, es handle sich hierbei um ein selbst gebasteltes Musikinstrument, l?sst sich die Dreij?hrige nicht beirren. Von ihrer Meinung ¨¹berzeugt, wiederholt Mina, dass es sich bei dem Inhalt eindeutig um Nahrungsmittel handelt, und schraubt weiter mit aller Kraft an dem angeklebten Deckel. Etwas abseits steht der zwei Jahre alte Florian und beobachtet die Szene von der Seite. Beide sind Kinder von ETH-Mitarbeitern und wurden an diesem Freitagnachmittag zum ersten Mal in die Krippe ?Flex Zentrum? zur Betreuung ¨¹bergeben.

Seit Oktober 2017 k?nnen ETH-Angeh?rige ihre vier Monate bis sieben Jahre alten Kinder nicht nur am Standort H?nggerberg, sondern auch im Zentrum bis 24 Stunden im Voraus online anmelden und betreuen lassen. Initiiert wurde das Projekt von HR-Leiter Lukas Vonesch und Renate Schubert, der Leiterin der Stelle f¨¹r Chancengleichheit Equal! und Gender-Delegierten des ETH-Pr?sidenten. ?Wir haben gesehen, dass es an der ETH ein grosses Bed¨¹rfnis f¨¹r solch ein Angebot gibt?, erkl?rt Renate Schubert. In nur f¨¹nf Monaten ist aus der Idee das erste flexible Krippenangebot der ETH entstanden. Heute werden beide flexible Krippen gerne und h?ufig von Studierenden, Doktorierenden und Mitarbeitenden genutzt.

?Kinder sind bei uns kleine Forscher?

Kihz Flex geh?rt zum breiten Angebot der Stiftung kihz, die gemeinsam von ETH und Universit?t Z¨¹rich getragen wird. Die Stiftung bietet vor allem acht regul?re Kindertagesst?tten sowie Ferienbetreuung und den Service ?kihz Mobil?. Dieser erm?glicht eine Betreuung von Kindern, deren Eltern an einem ETH-Event teilnehmen. Ausserdem unterst¨¹tzen kihz-Mitarbeitende Eltern bei der Suche nach alternativen oder kurzfristigen Betreuungsl?sungen, beispielsweise durch die Vermittlung von professionellen Nannys aus dem kihz-eigenen Springerpool.

Vergr?sserte Ansicht: Krippe kihz Flex, Kinderbetreuer life-Magazin 2018
Der kihz Flex-Gruppenleiter Sharon Rosenberg wurde bei der letzten Elternumfrage in h?chsten T?nen gelobt.

F¨¹r die Gesch?ftsf¨¹hrerin der Stiftung, Monika Haetinger, steht die Qualit?t der Betreuung an oberster Stelle. ?Kinder sind bei uns kleine Forscher. Wir gehen auf die individuellen Bed¨¹rfnisse jedes Kindes ein und f?rdern gezielt dessen Interessen, Kreativit?t und Neugierde mit unserem Programm. Weder Herkunft noch Religion oder Geschlecht spielen f¨¹r uns irgendeine Rolle?, sagt Haetinger.

Zudem achtet die Gesch?ftsf¨¹hrerin auf geschlechtsdurchmischte Teams. In fast jeder kihz-Kita ist mindestens ein m?nnlicher Betreuer angestellt, bei einer Krippe ist die H?lfte der betreuenden Personen m?nnlich.

Flexibel auf Bed¨¹rfnisse eingehen

Die ETH-Servicestelle ?Hello Kids!? bietet zwar keine konkrete Betreuung, aber umfassende Informationen f¨¹r (werdende) Eltern und hilft ETH-Angeh?rigen bei der Suche nach familienerg?nzender Betreuung. Dabei unterbreitet ?Hello Kids!? L?sungsvorschl?ge, die auf die verschiedenen Bed¨¹rfnisse abgestimmt sind. Ausserdem werden die Zusatzkosten f¨¹r die Betreuung von S?uglingen zwischen 4 und 18 Monaten von der ETH ¨¹ernommen ¨C Hello Kids! vermittelt die Beitr?ge. Doktorierende und Postdoktorierende werden auch durch die Robert-Gnehm-Stiftung finanziell unterst¨¹tzt, wenn sie f¨¹r ihre Kleinkinder w?hrend der Teilnahme an internationalen Konferenzen zus?tzliche Betreuungskosten haben.

Noch wichtiger als finanzielle Unterst¨¹tzung ist laut dem HR-Leiter aber die Flexibilit?t, die an der ETH geboten wird. 28 Prozent der ETH-Angeh?rigen arbeiten in einem Teilzeitpensum. ?So einen hohen Anteil habe ich noch nirgends gesehen?, sagt der 54-J?hrige, der vor drei Jahren an die ETH kam. Auch dem Arbeitsmodell ?Home Office? steht Lukas Vonesch sehr offen gegen¨¹ber. In seiner eigenen Abteilung arbeiten zahlreiche Mitarbeitende regelm?ssig von zuhause aus.

Angeh?rigenpflege im Fokus

Mittlerweile ist es drei Uhr nachmittags. Florian malt zusammen mit einer Betreuerin Hasenbilder aus, w?hrend Mina versucht, so viele Tennisb?lle wie m?glich in ihrem Kleid zu bunkern.

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Marianne Mandrin geht regelm?ssig mit ihrer Mutter und dem ?gemeinsamen Hund ?Jacky spazieren.

Fast zur gleichen Zeit und nur 45 Kilometer entfernt f?hrt Marianne Mandrin, die Assistentin der ETH-Rektorin Sarah Springman, ihre 79-j?hrige Mutter von einem Arztbesuch nach Hause. Marianne hat heute frei. ?Das Wunderbare an der ETH und vor allem auch an Sarah ist, dass ich hier die Gewissheit habe, dass ich bei einem Notfall sofort nach Hause gehen kann, dass ich auch mal sp?ter ins B¨¹ro kommen kann oder allenfalls spontan frei nehmen k?nnte?, sagt Marianne. ?Family first!? laute das Credo der Rektorin. Ihr Arbeitspensum konnte Marianne ebenfalls reduzieren, seit ihre Mutter nach einer schweren R¨¹ckenoperation ihre Unterst¨¹tzung ben?tigt.

Generell sei man an der ETH f¨¹r das Thema Angeh?rigenpflege aber deutlich weniger sensibilisiert als f¨¹r die Kinderbetreuung, h?rt man mancherorts. Daran wollen Renate Schubert und Lukas Vonesch nun gemeinsam arbeiten. So sollen Vorgesetzte und Mitarbeitende ermutigt werden, solche Situationen offen und vertrauensvoll zu besprechen, um gemeinsam gut funktionierende L?sungen zu erarbeiten. ?Dieses Thema betrifft viele ETH-Angeh?rige. Es ist aber leider h?ufig noch ein Tabuthema und ich kann verstehen, dass das zu Verunsicherung f¨¹hrt. Wir werden uns dem Thema verst?rkt widmen, denn die Vereinbarkeit von Familie und Karriere geht deutlich ¨¹ber die Kinderbetreuung hinaus?, sagt Schubert.

Und die Voraussetzungen f¨¹r eine Verbesserung in diesem Bereich sind an unserer Hochschule gegeben. ?Solange die Leistung stimmt, ist an der ETH in Bezug auf Arbeitszeit und Arbeitsort viel Flexibilit?t m?glich ¨C das habe ich so noch nirgends in der Privatwirtschaft angetroffen?, sagt Marianne und nimmt den Rollator ihrer Mutter aus dem Auto.

?Forschung ist wie Leistungssport?

Diese Flexibilit?t sieht auch Physik-Professor Renato Renner als einen Hauptfaktor f¨¹r die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Der aktuelle ALEA Award-Gewinner hat viele Eltern in seiner Forschungsgruppe und versucht so flexibel wie m?glich auf die verschiedenen Bed¨¹rfnisse seiner Mitarbeitenden und Doktorierenden einzugehen.

Dass er selbst als ETH-Doktorand zum ersten Mal Vater wurde, h?lt der 43-J?hrige f¨¹r die beste Entscheidung seines Lebens. Vor allem bei Doktorandinnen sei es aber wichtig, dass sie durch den Mutterschaftsurlaub keine grossen Nachteile haben, indem der Informationsfluss auch in dieser Zeit sichergestellt wird und ihnen auch nach der Pause wichtige Projekte erm?glicht werden. Zudem sollten Sitzungen m?glichst nicht abends stattfinden. ?Eltern arbeiten oft effizienter, da sie sich ihre Zeit besser einteilen m¨¹ssen?, sagt Renner und gibt dennoch zu bedenken: ?Spitzenforschung ist wie Leistungssport. Wer zu lange pausiert oder sein Pensum zu stark reduziert, hat gegen die enorme internationale Konkurrenz kaum eine Chance.?

Bedingungen laufend verbessert

Wenn beide Elternteile eine berufliche Karriere anstreben, sei das die gr?sste Herausforderung, sagt Renate Schubert. ?Um die Vereinbarkeit einer erfolgreichen ETH-Karriere und eines erf¨¹llten Familienlebens zu unterst¨¹tzen, verbessern wir die Bedingungen an der ETH kontinuierlich?, betont die Gender-Delegierte. R¨¹ckmeldungen von den ETH-Angeh?rigen selbst seien dabei sehr wichtig.

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Mina und ihr f¨¹nfj?hriger Bruder Akito erkunden den krippeneigenen Spielplatz.

?Ich bin meiner Frau sehr dankbar, dass sie ihr Arbeitspensum aufgrund unserer vier Kinder reduziert hat?, sagt Renato Renner, dessen Frau als Kinder?rztin t?tig ist. ?H?tte ich das gemacht, w?re ich heute wahrscheinlich nicht da, wo ich jetzt bin?, erg?nzt er und rennt zum Bus. Die Geburtstagsfeier von seinem zweij?hrigen Sohn beginnt in 30 Minuten. Und die w¨¹rde sich der Physik-Professor f¨¹r keine berufliche Verpflichtung entgehen lassen.

Und auch f¨¹r Mina und Florian geht es nach einem Ausflug zum krippen?eigenen Spielplatz um 17 Uhr nach Hause?. Denn zum Gl¨¹ck beginnt und endet alles mit der Familie ¨C auch an der ETH Z¨¹rich. 

Weitere Informationen

Haben Sie eine Idee, wie die Verein?barkeit von Arbeit und Familie an der ETH verbessert werden k?nnte? Prof. ?Renate ?Schubert freut sich auf Ihre Vorschl?ge unter

Alle Informationen f¨¹r (werdende) Eltern? finden Sie unter www.ethz.ch/elternschaft

Alle Informationen f¨¹r ETH-?Ange?h?rige, die ihre Angeh?rigen pflegen, finden Sie unter www.ethz.ch/angehoerigenpflege

Das neue ETH-Magazin ?life? ist da

Dieser Artikel ist die Titelgeschichte des aktuellen ?life?.  

In der neuen Ausgabe erkl?rt ETH-Pr?sident Lino Guzzella die Hintergr¨¹nde des Ausbauprojekt ETH+ und warum es den ETH-Angeh?rigen die einmalige Chance bietet, die Zukunft der ETH Z¨¹rich mit eigenen Ideen mitzugestalten. Der dritte Teil der Einblicks-Serie ?Forschungsschwerpunkte? widmet sich der Nachhaltigkeit. Ausserdem beantwortet?life? die wichtigsten Fragen zur kommenden Senkung des Umwandlungssatzes bei der Rente und vieles mehr.

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